Küstenseeschwalben sind erstaunliche Vögel. Sie sind die Weltmeister unter den Langstreckenziehern. Jährlich fliegen sie von ihren Brutstätten, die an den Küsten rund um den Nordpol liegen, bis zu ihren Winterquartieren am Rand der antarktischen Packeiszone – und wieder zurück.

Einer der Vögel brachte es auf unglaubliche 90.000 Jahreskilometer, gemessen von niederländischen Forschern. Sie hatten die Seeschwalbe mit einem sogenannten Geolokator ausgestattet, der die Reiseroute grob nachzeichnet, und die Daten ausgelesen. In ihrem bis zu 30 Jahre dauernden Leben könnten Küstenseeschwalben demzufolge 2,5 Millionen Kilometer zurücklegen – drei bis vier Mal so weit wie zum Mond und wieder zurück. Doch wie gelingt es den nur rund 110 Gramm leichten Vögeln, die nicht größer sind als Stare, diese unfassbare Leistung zu erbringen? Die Antwort fanden Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell: Über Umwege, denn sie werden quasi ‚vom Winde bewegt‘. Unabhängig von ihrem Startpunkt fliegen die Küstenseeschwalben nie auf direktem Weg zu ihrem Ziel. Die Route über den Atlantik zum Beispiel verläuft s-förmig. Nutzen die Vögel die Route mit optimalen Windverhältnissen, sparen sie nicht nur Energie, sondern in etwa ein Viertel der Reisezeit ein. Bedeutet, die kürzeste Route ist nicht automatisch die beste.

Und bei noch etwas hält die Küstenseeschwalbe den Weltrekord: Da sie den Sommer an beiden Polen miterlebt, ist sie wahrscheinlich insgesamt dem Tageslicht mehr ausgesetzt als irgendein anderes Tier. Dadurch können die Vogelschwärme rund um die Uhr nach Fischen und Krebsen jagen.

Seit mehr als 30 Jahren lebt Holger Bruns (Foto) in Nordfriesland. Der Diplom-Biologe betreut zum einen für das NABU-Naturzentrum Katinger Watt die Schutzgebiete in der Eidermündung und arbeitet außerdem in diversen anderen Naturschutzprojekten. Auch die Küstenvögel-Kolonie am Eidersperrwerk wird von ihm betreut. Denn hier, an Deutschlands größtem Küstenschutzbauwerk, haben sich erstmals vor gut 15 Jahren Küstenseeschwalben auf dem asphaltierten Deich ihren eher ungewöhnlichen Brutplatz ausgesucht, und das direkt an der Mole vor der Aussichtsplattform und neben dem Fußweg. Kein Wunder, denn das Nahrungsangebot ist groß, da Ebbe und Flut im Bereich des Sperrwerks viele Fische wie Stint und Seenadel, aber auch kleine Krebstiere an die Oberfläche strudeln, wo sie leicht zu erbeuten sind. „Es gilt ein simples Prinzip: Hier bekomme ich den Bauch voll, dann werde ich eben genau dort mein Nest bauen und ziehe meinen Nachwuchs auf, in unmittelbarer Nähe zu den Menschen“, erklärt Holger Bruns das Verhalten der Vögel, die ansonsten eher abgelegene Bereiche bevorzugen. Schließlich wird um den Nestbau nicht viel Aufhebens gemacht. Den Vögeln reicht der spärlich bewachsene Untergrund. Hauptsache, die Eier rollen nicht weg.

In der wehrbereiten und kampfstarken Hauptkolonie tummeln sich neben rund 440 Paaren Küsten- und Flussseeschwalben inzwischen etwa 1.200 Lachmöwen- und Schwarzkopfmöwen-Paare. Aber auch brütende Austernfischer und Enten fühlen sich hier wohl. „Multikulti“ nennt dies Holger Bruns und verweist auf den Hintergrund: Insbesondere Küstenseeschwalben sind schnelle und wendige Flieger und sogenannte Stoßtaucher. Auf der Jagd nach Beute stürzen sie sich mit angelegten Flügeln ins Wasser. Dabei kann der Vogel bis zu sechs Meter tief tauchen. Diese Jagdtechnik wird auch genutzt, um die Küken energisch zu verteidigen, mit lautem Geschrei und heftigen Attacken gegen den Angreifer. In der großen Gemeinschaft ist es leichter, sich gegen Eindringlinge zur Wehr zu setzen. „Eine Krähe zum Beispiel hätte keine Chance, sich ein Küken zu greifen, da sich alle Altvögel gemeinsam auf sie stürzen würden“, so Bruns.

Die kleine Seeschwalbenkolonie an der Eidermündung ist nicht nur bei Ornithologen und Fotografen ein bekannter Hotspot, sondern auch von Anfang März bis Mitte August eine Touristenattraktion. Denn nur hier können Naturfreunde die scheuen Vögel aus wenigen Metern Distanz bei der Balz und ihrem Brutgeschäft beobachten. Diese haben sich zwar mit den Scharen von Menschen arrangiert, solange diese die Abstandsregeln einhalten und auf ihrer Seite von Geländer und schmaler Absperrkette bleiben. Jedoch gibt es auch bei den Küstenseeschwalben das eine oder andere Exemplar, bei dem die Nerven schneller blank liegen, sobald eine gewisse Distanz von den Schaulustigen unterschritten wird. „In aller Regel sind die Tiere, bei Beachtung des Mindestabstands, friedlich. Es kommt aber gelegentlich vor, dass die Jungen verteidigt werden. Ganz nach dem Motto, ‚Wer nicht hören will, muss fühlen‘. Dann fliegen die Seeschwalben Angriffe gegen den Eindringling, nach denen man auch mal eine blutige Schramme am Kopf mit nach Hause nimmt“, berichtet Holger Bruns. Vogelbeobachtern empfiehlt er, die Kolonie ruhig mit Fernglas, Spektiv oder Kamera zu beobachten, wobei eine Kopfbedeckung und alte Kleidung ratsam sind: Denn mit ‚tieffliegendem Schiet‘ ist jederzeit zu rechnen.