Friedrichstadt. Behutsam nimmt Henriette Bärenwaldt die kleine, handgeschnitzte Rose aus Elfenbein in die Hand. Über die Jahre ist das „arbeitende“ Material von hellem Beige in cognacfarbenes Braun übergegangen, ganz so, als wollte das Schmuckstück die Zeit „verarbeiten“.

„Ich denke, meine Mutter Wanda Arndt hat sie wohl 1934 zum 24. Geburtstag geschenkt bekommen. Sie liebte sie sehr und trug sie häufig. Sie legte immer viel Wert auf gutes Aussehen und adrette Kleidung. Meine Mutter mochte die Farben Rosa und Lila besonders. Ich habe sie geschminkt und frisiert.“

Als die Mutter vor 25 Jahren starb, kam die Brosche in „Hennys“ Hände und wird seitdem in einem Schmuckkästchen aufbewahrt und als Erinnerung in Ehren gehalten. Das Schmuckstück muss in Polen hergestellt worden sein, denn Henriettes Familie stammt von dort. „Ich tippe auf Lodz oder Warschau“, so die jetzige Besitzerin.

Sie hat also schon einiges mitgemacht, den Weltkrieg und die Flucht in den Westen und einige Umzüge. Dafür muss die Zeit nun etwas zurückgedreht werden, um zu wissen, wie die polnische Rose nach Friedrichstadt kam. Henriette Bärenwaldt wurde in Posen (dem heutigen Poznan) geboren – und das übrigens vor 80 Jahren. Ihr Vater fiel am 2. März 1945 in Deutschland und fand auf dem Soldatenfriedhof in Duisburg seine letzte Ruhestätte. So stand Mutter Wanda plötzlich mit zwei Mädchen und zwei Jungen alleine da. Henriette war die Älteste der vier Kinder.

Auf der Flucht landeten sie in Rinow in der damaligen DDR. „Wir mussten aus Polen raus, da wir Deutsche waren“, erinnert sich Henny. Im Juli 1949 kamen sie dann „schwarz über die Grenze“ nach Bielefeld. Die Stadt im Nordosten Nordrhein-Westfalens sollte für 66 Jahre das Lebensumfeld Henriettes werden. Die gelernte Friseurin arbeitete zuletzt dort in einem Altenheim und verschönerte die dort lebenden Damen und Herren. Ihr Mann Arno – inzwischen pensionierter Polizeibeamter – kreuzte früh ihren Weg. Er war im Mai 1943 in Berlin ausgebombt worden und fand den Weg über Greifswald nach Drage. Dort hat er zehn Jahre gelebt und damit erklärt sich der Bezug zum Norden.

Ab den 60er-Jahren machte die junge Familie, die inzwischen drei Kinder hatte, oft in Friedrichstadt Urlaub und lernte die Region kennen und lieben. Die eine Tochter kaufte sich hier ein Haus und steckte damit ihre Eltern an. 2015 zogen diese dann endgültig in den Norden. Mit dabei natürlich die Elfenbeinbrosche. Und nicht nur die, denn Henriette Bärenwaldt ist eine leidenschaftliche Sammlerin schöner Dinge.

So gibt es zum Beispiel 500 Fingerhüte aus allen Zeiten und Ländern, die Kaffeekannensammlung mit einem gut hundert Jahre alten Prunkstück, die Porzellanpuppen oder die Sammlung von Koch- und Backbüchern, die zum Teil schon bis auf die Zeit vor den Weltkriegen zurückdatieren. Zu jedem Teil hat die aktive Sammlerin eine kleine Geschichte parat und Schildchen und Aufkleber verraten ihr auf einen Blick, wann und wo sie die Stücke erworben oder erhalten hat. Wenn sie nicht gerade sammelt, backt sie oder macht Marmelade mit Früchten aus dem eigenen Garten ein, daneben hält sie sich fit durch Sport oder trifft sich mit Freundinnen zum Lotto, eine weitere Leidenschaft von ihr. Wenn Henriette Bärenwaldt eines nicht hat, dann ist es Langeweile. Das Wort gibt es bei ihr gar nicht.

Text/Foto: Petra Blume