Tönning. Gibt es Engel auf Erden? Wahrscheinlich müssten einige Tönninger
nicht lange überlegen. Ja, es gibt sie. Sie heißen Gerhard und Gunhild
Kiesenhofer, kommen aus Wien und fliegen immer wieder in Tönning ein, um
rechtzeitig an der Probe im Kantatenchor teilzunehmen oder sich ehrenamtlich
zu engagieren.
Wie es dazu kam, erzählen sie selbst. „Wir sind beide bei Bundesbehörden in
Wien angestellt und hatten uns zu einem Sabbatical entschieden. Neun Monate
Auszeit, in denen wir schauen wollten, was wir Gutes tun können und wir
wollten uns einmal auf andere Dinge konzentrieren, als auf die Arbeit und
den normalen Alltag.“ Gesagt und fast getan. Sie hatten Großbritannien im
Sinn, gerne dort Cornwall. Aber die Brexit-Verhandlungen und der hohe
Wechselkurs ließen den Traum platzen. Freunde der Beiden hatten schon einmal
Urlaub in St. Peter-Ording gemacht, rieten ihnen, die Gegend dort einmal zu
erkunden. So schauten sie sich dort ein paar Tage um. „Eiderstedt zeigte
sich von seiner attraktivsten Seite, es gab nur Sonnenschein“, so Gunhild.
„Tönning kannten wir da nur vom Vorbeifahren“, ergänzt Gerhard Kiesenhofer.
„Wir lieben es, am Meer spazieren zu gehen, uns vom Wind durchpusten zu
lassen. dieser ständige Wandel der Wolken und des Wetters und diese Weite.
Wir sind am ersten Tag zu Nordfriesen geworden.“ Bei der Internetsuche nach
einer längerfristig zu mietenden Ferienwohnung gab es letztlich drei zur
Auswahl. Eine davon war die von Ute Hansen aus Groß-Olversum. Schnell wurde
man sich einig. „Es passte einfach von Anfang an“, so die Vermieterin. „Es
sind so liebe und nette Menschen, ich wusste gar nicht, dass es das noch so
gibt. Und wir haben viele gleiche Interessen.“ So kamen die Kiesenhofers
also 2016 in die kleine Stadt mit dem historischen Hafen. Schon von zuhause
aus hatten sie Kontakt zum Kreiskantor Christian Hoffmann aufgenommen und
gefragt, ob sie im Chor mitsingen könnten. Er lud sie spontan zu sich nach
Hause ein und war wenig später um eine Alt- und Bassstimme reicher. Daneben
engagierten sich die beiden Auszeitler bei der Tafel, in der Kirche, lasen
und sangen mit den Bewohnern des Paul-Gerhardt-Hauses oder halfen bei der
Hospizarbeit. Und so standen ihnen nicht nur bald alle Türen offen, sondern
auch die Herzen derer, mit denen sie zu tun haben. Es geht wahrlich etwas
ganz Besonderes von den beiden aus.
Es ist also nicht verwunderlich, dass sie von allen Seiten zur Begrüßung
umarmt werden, wenn sie gerade an den Adventswochenenden im Packhaus Kaffee
und Kuchen ausschenken, abwaschen oder einfach dort sind, wo sie gebraucht
werden. Denn, obwohl ihr Sabbatical im Februar bereits beendet war, sie sind
noch da. „Wir sind hier angekommen“, sagt Gunhild Kiesenhofer. Die Arbeit
hat sie daheim längst schon wieder im Griff. Dennoch kommen sie mindestens
einmal im Monat nach Tönning, um an der Chorprobe teilzunehmen und nehmen
dafür gute zwölf Stunden Fahrt in Kauf – 16 Mal seit März.
Selbstverständlich verbringen sie auch ihren Urlaub hier und jede freie
Zeit, die sie bekommen können. „Wir können schon fast sagen, wir wohnen in
Tönning und arbeiten in Wien“, sagt Gerhard Kiesenhofer.
Noch müssen die beiden ein paar Jahre dem Erwerbsleben zur Verfügung stehen,
sie können sich aber durchaus vorstellen, dann für immer in den Norden zu
ziehen.
Von der Sturheit der Nordfriesen haben sie nichts bemerkt. „Wir wurden
sofort aufgenommen. Wir wurden wohl gefragt, woher wir kommen, wenn sie
unseren Dialekt hörten, aber man nahm uns auf, wie wir sind. Es war völlig
egal, was wir arbeiten oder wie wir leben. Das hat uns so gut gefallen“, so
Gunhild Kiesenhofer. „Wir reden auch immer gut von den Küstenbewohnern und
wenn jemand was von Ostfriesland sagt, dann betonen wir, dass wir nach
Nordfriesland fahren“, lacht sie noch.
Und dann müssen sie wieder etwas tun. Es gibt so viel zu erledigen für
andere Menschen für die beiden österreichischen Engel ohne Flügel – gerade
in der Weihnachtszeit. Petra Blume