Eiderstedt. Die einen beharren darauf, dass es früher immer nur „in“ geheißen habe, die anderen argumentieren, dass Eiderstedt schließlich eine Halbinsel sei und es bei Inseln und Halbinseln eben korrekt „auf“ heiße. Das stimmt zwar im Prinzip, aber so einfach ist die Sache nicht.

Eine nicht nur Eiderstedter Sprachbetrachung: Inseln, die zugleich eigenständige Staatlichkeit besitzen, werden zumeist mit „in“ betitelt: in Grönland, in Island, in Kuba, in Jamaika, obwohl hier auch „auf“ möglich, aber seltener zu hören ist.„Auf Grönland“ riecht nach Teer und Tang sowie Walfängerromantik vergangener Jahrhunderte, „in Grönland“ macht sich zeitgemäß und modern. „Auf Jamaika“ klingt ebenfalls nach Segelschiff und Piraten. Der Inselstaat wurde erst 1962 von Großbritannien unabhängig. Dennoch sang man schon 1956 in Deutschland das Seemannslied „Was trinken die Matrosen/ von allen Spirituosen? Am liebsten Rum, vallera/ Rum aus Jamaika“. Nicht etwa „Rum von Jamaika“ – also fühlten deutsche Matrosen bereits vor 1962 die kommende Staatlichkeit, dass es in Jamaika heißen müsse, sonst hätten sie Rum von Jamaika besungen.

Koloniale Abhängigkeiten beziehungsweise Zugehörigkeit zu einem anderen Staat gab es auch in der Geschichte der anderen Inseln: Kuba gehörte bis 1898 zu Spanien – und Grönland sowie die Färöer sind bis heute mit Dänemark verbunden. Auf Kuba sind wohl vor allem Touristen unterwegs – und die dürfen nicht nur ein-, sondern auch wieder ausreisen, im Gegensatz zu den bis vor einigen Jahren reisebeschränkten Kubanern selbst, die in Kuba leben (mussten). Auf Kuba, aber auf gar keinen Fall in Kuba gibt es den als Gefängnis berüchtigt gewordenen US-Stützpunkt „Guantanamo“, exterritoriales Überbleibsel aus den Zeiten vor Fidel Castros Revolution von 1959. Der Staat Kuba lehnt das Vorhandensein der US-Basis auf Kuba strikt ab.

Es kommt auf die Größe an

Bei der Frage, ob „auf“ und „in“ kommt es auch auf die Größe an, denn die kleinen Färöer (deutsch: ‚Schafinseln‘) haben ebenso einen Autonomiestatus im dänischen Staat wie die größte Insel der Welt: Grönland. „In Grönland“ hört man heute meistens, „in Färöer“ hingegen nie. „Wie ungerecht“, könnten die Bewohner der Schafinseln argumentieren. Gerecht geht es bei Sprache aber oft nicht zu, ebenso wenig wie beim Fußball, zum Beispiel beim „Wembley-Tor“ 1966: da sahen die Briten und der sowjetische Linienrichter den Ball im Tor, die Deutschen aber auf der Linie – womit wir denn auch in England wären, bei dem auch niemand je auf die Idee käme, „schöne Grüße von England“ zu schreiben so wie „schöne Grüße von Mallorca“, weil es eben (Insel hin oder her) „in England“ heißt.Sprachlich ungerecht und nicht „political correct“ (pc) ist auch, dass oft vereinfachend von „England“ als dem Begriff für ganz Großbritannien gesprochen wird, obwohl die große Insel auch Schottland und Wales beherbergt – („und Cornwall“, werden Minderheitenvertreter reklamieren). Doch England ist das traditionell dominierende Staatswesen auf der Insel.

Für alte Eiderstedter ist das ein Anknüpfungspunkt. Sie haben regionales Selbstbewusstsein – und das nicht zu knapp. Für sie heißt es natürlich „in Eiderstedt“, weil die reiche und stolze Landschaft Eiderstedt bis zur Kreisreform 1970 eine Verwaltungseinheit war. Seit dem Mittelalter war Eiderstedt aus den früheren amphibischen Harden Utholm (um Tating), Everschop (um Garding) und Eiderstedt (um Tönning) entstanden, die sogenannten „Dreilande“, die später den gemeinsamen Namen „Eiderstedt“ führten und sowohl untereinander als auch mit dem Festland zusammenwuchsen. Daher war man nicht auf, sondern in der Landschaft Eiderstedt und bis 1970 im Kreis Eiderstedt unterwegs.

Eiderstedter hält „auf Eiderstedt“ für neumodische Phrase

„Es heißt ja auch nicht: auf England“, ist eine selbstbewusste Einstellung alteingesessener Eiderstedter, die das Königreich jenseits der Nordsee in aller Bescheidenheit für eine angemessene Vergleichsgröße halten. Owe Hamkens aus Kotzenbüll, Jahrgang 1926 und Eiderstedter Urgestein gehört dazu. Dass er die Bezeichnung „auf Eiderstedt“ für eine neumodische Phrase von zum Beispiel Hamburger Geldleuten hält, die sich nur wichtig tun wollen, wenn sie eine Immobilie „auf Eiderstedt“ besitzen, haben Hamkens und seine Frau Gisela bereits 2005 vor der Kamera gesagt. Anzusehen ist ihr Statement im Internet auf YouTube unter dem Titel „In Eiderstedt oder auf Eiderstedt?“ Liedermacher Knut Kiesewetter (1941–2016), im Eiderstedter Garding aufgewachsen, hält im Filmclip dagegen: Er sage konsequent „in Eiderstedt“ und habe das schon immer getan.

Das „schon immer“ scheint das Problem zu sein. Alte Eiderstedter berichten, dass es vor allem in den vergangenen 30, 40 Jahren vermehrt zu der Bezeichnung „auf Eiderstedt“ gekommen sei, der sich dann viele Einheimische angeschlossen hätten. Was ist der Grund? Schwand das alte Denken, in der Landschaft Eiderstedt zu leben, nachdem der Kreis Eiderstedt 1970 zugunsten des Großkreises „Nordfriesland“ aufgelöst worden war? Oder ist es einfach nur eine Entwicklung der Sprache, eine Gegenbewegung, weil das „auf“ sonst in vielen Fällen durch „in“ oder „an“ ersetzt wurde?

Theodor Storm schrieb die Novelle „Auf der Universität“, Hermann Löns sang „Auf der Lüneburger Heide“, meine Großmutter ging noch „auf die Schule“, ich nur noch „in die Schule“, aber „aufs Gymnasium“. Sie ging auch noch „aufs Amt“, „auf die Post“ und hatte ihr Geld „auf der Bank“. Das lohnt bei heutigen Sparzinsen kaum noch, auch unversteuertes Geld in der Schweiz birgt mehr Gefahren als Nutzen. Denn hier schlagen nicht nur die Steuerfahndung, sondern auch der sprachliche Wandel zu. Bei Fußballspielen heißt es neuerdings in den Medien nur noch „Schweiz“, nicht mehr „die Schweiz“ und auch nur noch „Türkei“. So kann man nun hören „Schweiz spielt gegen Türkei“. Nicht nur Oberstudienräten sträuben sich dabei die Nackenhaare, denn das ist vermutlich nur das sklavische Nachplappern nach englischen Vorbildern. Dort spielt auch „Switzerland“ gegen „Turkey“, ganz ohne Artikel.

Manches funktioniert noch immer traditionell

Sprache verändert sich ständig, aber manches funktioniert noch immer traditionell, ob logisch oder nicht: Es heißt „in Japan“, obwohl der Staat aus über 6.800 Inseln besteht, aber „auf den Philippinen“, (nur 300 Inseln mehr). In Nordfriesland reist man „auf die Halligen“, die darauf bestehen, keine Inseln zu sein, und man kann auch von jeder Hallig einzeln sprechen, aber nicht von jeder einzelnen „Philippine“. Die Sylter achten darauf, dass man „auf Sylt“ sagt, obwohl die meisten Inseldörfer und die Stadt Westerland seit 2009 die „Gemeinde Sylt“ bilden. Man kann also in List auf Sylt sein oder in Sylt auf Sylt. Nordstrander mussten sich schon lange an die Behauptung gewöhnen, dass man „in Nordstrand“ sei, weil Nordstrand sich wegen seines Straßendamms und großer Eindeichungen vom Festland her längst nicht mehr rechtmäßig Insel nennen dürfe. Nach spätestens sieben Pharisäern fühlt man sich ohnehin wieder ganz inselmäßig.

Zugezogene können sich in Hamburg bis in alle Ewigkeit blamieren und als „Quiddjes“ (mitleidig bis verächtlich für „Nicht-Hamburger“) gelten, wenn sie vom Stadtteil „Uhlenhorst“ ohne Präposition und Artikel sprechen. Man wohnt selbstverständlich „auf der Uhlenhorst“. Andere wiederum sind froh, dass sie das „auf“ los sind: „Auf der schwäbschen Eisenbahne/gibt’s gar viele Haltstatione“. „Stuttgart-Ulm“ kann die Deutsche Bahn AG heute viel schneller bedienen als um 1850 (trulla, trulla, trulla la) und sie hat auf dieser Strecke noch einiges vor, aber ob das für Biberach, Meckenbeuren und Durlesbach (1984 stillgelegt) auch gilt, ist wohl unklar. Heute fährt man nicht mehr auf der Eisenbahn, sondern es heißt aus dem Lautsprecher – und von der A-Capella Band „Wise Guys“: „Seng ju for träwelling wis Deutsche Bahn“. Bei manchen Veränderungen, weiß man noch nicht, was daraus werden soll: Früher fuhr man „auf die Krim“, da war sie noch halb Insel, jetzt ist sie ganz russisch. Wird das sprachliche Auswirkungen haben?

Wer beim Kronzeugen alter Eiderstedter Geschichten, beim Chronisten Peter Sax (1597–1662) sucht, wird kein „auf“, sondern nur „in Eiderstedt“ finden und auch eine Internetsuche bei „GoogleBooks“ zeigt, dass es in alten Büchern stets „in“ heißt, während erst neue Werke „auf Eiderstedt“ propagieren.

Hiermit sei verkündet: Jedem, der die Benutzung von „auf Eiderstedt“ vor 1970 überzeugend nachweisen kann, gebe ich einen aus.

Autor Claas Riecken ist Mitarbeiter des Nordfriisk Instituut in Bredstedt. Dieser Text wurde erstmalig in der Zeitschrift „Nordfriesland“ (Nr. 190, Juni 2015) veröffentlicht.