Gardinger Sendemast: Gardings ZahnstocherVon Raina Bossert26.06.2020, 13.53 UhrFoto: Foto: Bossert Matthias Knutzen weiß, dass der Turm Geschichten erlebt hat: Er hat alle Zahlen, Daten und Fakten, auf die er Zugriff bekommen hat, in akribischer Detailarbeit zusammengetragen. Garding. Jeder, der in Eiderstedt unterwegs ist, kann ihn sehen und bestaunt ihn vielleicht im Vorbeifahren. Für die Gardinger ist er aber nicht nur ein markanter Orientierungspunkt, eher ein Stück Heimat, denn erscheint er in der Ferne am Horizont, ist der Weg nach Hause nicht mehr weit. Die Rede ist vom Gardinger Sendemast. Der stählerne Funkturm, den die Einheimischen – mehr oder weniger liebevoll – „Zahnstocher“ nennen, ragt mit seinen über 90 Metern Höhe seit mehr als 60 Jahren in den nordfriesischen Himmel. Fernsehtum ist das Steckenpferd von Matthias Knutzen Matthias Knutzen liebt seine Heimat und er ist Gardinger durch und durch. So engagierte er sich viele Jahre in der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft Stadt und Kirchspiel Garding, ist im Vorstand des Heimatbundes Landschaft Eiderstedt aktiv, im Kirchenbuchamt Garding mit der Familienforschung befasst und unternimmt als Stadtführer regelmäßig mit Interessenten Exkursionen durch „seine“ Stadt. Doch sein allerliebstes Steckenpferd ist der Fernsehturm Garding im Nordergeestweg, der selbstverständlich einen festen Stammplatz als Anlaufpunkt während seiner Führungen hat. Für den ehemaligen Kfz-Meister war seine Umschulung zum Kommunikationselektroniker ab 1989 die Initialzündung: Er durfte, auf eigenen Wunsch, während eines vorgeschriebenen Praktikums einen Tag lang mit dem für den damals von der Deutschen Bundespost betriebenen Sendemast in Garding zuständigen Ingenieur alles „live“ erkunden. „Als Kind hat man das Ding ignoriert, doch als Erwachsener fand ich es spannend, darüber mehr zu erfahren. Im Turm sind die Anlagen doppelt ausgelegt, damit es bei Ausfällen keine Unterbrechungen gibt. Der Ingenieur hat für mich dann den Sender in den Störfall versetzt und mir gezeigt, was zu tun ist. Leider durfte ich nicht mit nach oben klettern, da ich keinen Turmschein habe, der zwingend vorgeschrieben ist. Von da an habe ich alles gesammelt, was mit dem Turm zusammenhängt“, berichtet er. Eigene Wbseite ist das Ziel Matthias Knutzen blätterte sich durch das Archiv des ‚Heimatkundlichen‘, kopierte alle Pressemitteilungen, legte Ordner an und entdeckte das Internet für sich. „Eine eigene Webseite zu haben, mit allen Fakten, das war mein Ziel. Ich habe gemeinsam mit den Verlagen alle Rechteinhaber gefragt, ob die Verwendung für sie in Ordnung wäre, meine eigenen Bilder und mein Recherchematerial auf die Seite geladen und sie stetig weitergepflegt. Aktuell ist sie wegen der Datenschutzverordnung zwischenzeitlich leider offline, aber ich will sie wieder für die Öffentlichkeit zugänglich machen“, sagt der Sammler. Seinen Unterlagen ist zu entnehmen, dass der Sender Eiderstedt, wie er zu Beginn hieß, am 17. November 1959 Richtfest feierte. Markant sind die Abspannseile des freistehenden Mastes, die Pardunen, die aufgrund der hiesigen Windlasten notwendigerweise zu installieren waren. Sie sind in drei Richtungen gespannt und in mehreren Höhen installiert, um ein seitliches Durchbiegen des Mastes im Wind zu begrenzen. „Der Mast wurde anfangs für den Fernsprech-Selbstwählverkehr gebaut. Außerdem diente die neue Richtfunkstelle als Relaisstation in Reserve für das Funktelefon, wenn das Telefonkabel überlastet sein sollte. Dann kam das Fernsehen hinzu. 1962 wurde die Turmspitze auf 103 Meter erhöht, acht Antennen wurden für den Sendestart des ZDF angebracht und ein Anlagengebäude errichtet. Baukosten für den Mast und die Einrichtung 600.000 DM, plus 26.500 DM für die Antennen.“ Umbau des Gardinger Sendeturms kostet 1,5 Millionen Mark Zwei Jahre später wurde das A-Netz auf dem Turm eingerichtet. Damit waren Gespräche aus dem fahrenden Auto möglich. Die Kosten für die Installation im privaten Auto betrugen 6.000 Mark und die monatliche Gebühr 100 Mark. „Wenige Monate später wurde mit einem Kleinkalibergewehr auf die Anlage geschossen, die Kugel wurde in einem 70 Meter langen Kabel des Turms gefunden, das den Empfänger mit den oben am Mast befindlichen Spiegeln verband, die die in der drahtlosen Telefonie üblichen Hochfrequenzströme aufnahmen. Es entstand ein Schaden von mehreren Tausend Mark“, so Matthias Knutzen. 1966 folgte der Ausbau für das Dritte Programm, das erst 1968 nach schwierigen Bauarbeiten am Sendemast startete: „Man konnte das Dritte Fernsehprogramm überall deutschlandweit sehen, nur nicht an der Westküste. Das gelang erst einige Monate später nach Sendebeginn. Der Umbau kostete rund 1,5 Mio. Mark. Und 1974 sorgte der Austausch von mehr als 300 Metern Kühlrohren für Arbeiten rund um die Uhr am Sendemast. Damit sollten während der Fußball-WM Ausfälle durch Wärmeentwicklung verhindert werden. Das legendäre Turnierergebnis kennt jeder“, schmunzelt er. Sender Garding: Ende 2006 startet digitales Antennenfernsehen Entscheidend war das Jahr 1980, in dem eine moderne Halbleitertechnik, ein mobiler Sender und eine Reserveantenne eingebaut wurden. „Aufgrund der aggressiven, salzhaltigen Luft musste allein die Sendeantennen für fast 200.000 Mark ausgetauscht werden. Am Ende wurden aus veranschlagten 2,6 Millionen Mark dann 4,5 Millionen. Mark Baukosten. Wir konnten an der nordfriesischen Westküste anschließend immerhin von einem der wenigen Sender in Deutschland das Zweite Programm auf Stereo und im Zweikanalton empfangen. Das war besonders, denn ansonsten hingen wir hier im Norden traditionell immer hinterher. Und der Mast war jetzt 103,73 Meter hoch, die höchste Höhe, die er jemals hatte“, strahlt Matthias Knutzen. 1989 wurde eine neue Antenne installiert für den Empfang von SAT1 und RTL, er ergänzt: „Interessant ist, dass Husum keine eigenen Fernsehsender bekam, stattdessen wurden beide Sender über den Gardinger Mast gesendet.“ Ende 2006 startete das digitale Antennenfernsehen, kurz DVB-T, an der schleswig-holsteinischen Westküste. Das analoge Fernsehen wurde abgeschaltet und ein Jahr darauf die analoge Sendeantenne, ein Glasfaserzylinder, am Sendemast per Hubschrauber demontiert. Nun kam der Turm den Gardingern fast nackt und abgehackt vor. „Viele sagen, er sei kastriert, und dass sie ihn vorher und mit Antenne schöner fanden“, so Knutzen. Heute wird der seit 2002 von der DFMG Deutsche Funkturm GmbH betriebene 94,05 Meter hohe Sendemast für Richt- und Mobilfunktechnik, sowie für See- und Behördenfunk und nach wie vor im Hörfunkbereich genutzt, hier sind die Sender N-JOY, Klassik Radio, Radio BOB!, Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und der Offene Kanal Westküste aktiv. „Natürlich wird der Funkturm zukünftig weiter eine Rolle spielen und für den Mobilfunk eingesetzt werden. Gerade die 5G-Technologie spielt dabei eine wichtige Rolle für die Region und insbesondere auch für Garding“, betont Matthias Knutzen.