Nordfriesland. Regelmäßig werden in Nordfriesland unbegleitete minderjährige Ausländer aufgegriffen. »Durchschnittlich waren es immer fünf im Jahr«, erinnert sich Landrat Dieter Harrsen. »Wir haben sie in Heimen oder Pflegefamilien untergebracht, wo sie intensiv betreut wurden, sie haben Deutsch gelernt und gingen zur Schule.« Doch die ruhigen Zeiten sind vorbei: Momentan kümmert sich das Jugendamt des Kreises um 260 UMAs, wie die offizielle Abkürzung für unbegleitete minderjährige Ausländerinnen und Ausländer lautet. Bundesweit soll es rund 61.000 UMAs geben – gesicherte Zahlen kennt niemand. Anfang November hat die Bundesregierung neue Regeln zum Umgang mit dieser besonders schutzbedürftigen Flüchtlingsgruppe in Kraft gesetzt: Sobald ein UMA den Fuß auf nordfriesischen Boden setzt, trägt das Jugendamt die Verantwortung für ihn. Es muss die Neuankömmlinge in Heimen oder anderen geeigneten Quartieren unterbringen. Erstaufnahmeeinrichtungen wie die in Seeth kommen nach den Vorgaben des Bundes nicht in Frage. »Leider sind alle 400 Heimplätze in Nordfriesland bereits belegt. Auch andere Kreise, Städte und Bundesländer haben hier Kinder, Jugendliche und auch UMAs untergebracht«, weiß Daniel Thomsen, der Leiter des Fachbereiches Jugend, Familie und Bildung der Kreisverwaltung. »Deshalb haben wir unsere freien Träger der Jugendhilfe gebeten, neue Plätze zu schaffen. Die ersten sind schon da. Parallel haben wir als Zwischenlösung die Jugendherberge in Niebüll angemietet.« Trifft ein mutmaßlicher UMA im Kreisgebiet ein, hat das Jugendamt sieben Werktage Zeit, zu überprüfen, ob er wirklich ohne Begleitung ist, den Namen, das Alter und die Nationalität festzustellen und seinen Gesundheitszustand überprüfen zu lassen. Danach sind diese Daten dem Land zu melden. Alle Länder leiten die Daten ihrer Kreise an eine zentrale Stelle auf Bundesebene weiter. Deren Aufgabe ist es, auf eine gleichmäßige Auslastung aller Kreise zu achten und die Flüchtlinge gerecht zu verteilen. Für Nordfriesland hat der Bund eine Quote von derzeit 125 UMAs festgelegt. »Deshalb warten wir darauf, dass die 135 überzähligen Jugendlichen nun anderen Kreisen zugewiesen werden. Aber in dem allgemeinen Chaos dieser Wochen und Monate scheint sich das zu verzögern«, berichtet Daniel Thomsen. In der Zwischenzeit leisten er und sein Team etliche Überstunden, um den UMAs gerecht zu werden. Jeder einzelne benötigt einen Vormund, der das Sorgerecht ausübt, also die Rolle der Eltern übernimmt. UMAs sind definiert als Minderjährige, die ohne ihre Eltern unterwegs sind. Manche werden aber von Onkeln oder Brüdern begleitet. Dann prüft der Kreis mit dem Amtsgericht, ob diese Verwandten als Vormund in Frage kommen. Entscheidende Kriterien sind deutsche Sprachkenntnisse, Vertrautheit mit den hiesigen Verhältnissen und der Gesundheitszustand. Sind keine geeigneten Verwandten vorhanden, wird ein amtlicher Vormund bestellt. Vier Amtsvormünder arbeiten bereits im Kreisjugendamt, zwei zusätzliche Stellen sind ausgeschrieben. Laut gesetzlichen Vorgaben darf ein Vormund höchstens 50 Klienten gleichzeitig betreuen. Auch Ehrenamtler kommen als Vormünder in Betracht. »Die Jugendlichen wohnen dann weiterhin in der Einrichtung und sollen mindestens einmal im Monat Kontakt mit dem Vormund haben. Meistens trifft man sich aber häufiger, weil beide Seiten daran interessiert sind«, weiß Daniel Thomsen. Das Jugendamt steht den Ehrenamtlern in fachlichen und rechtlichen Fragen unterstützend zur Seite. »Wir sind jederzeit ansprechbar und lassen niemanden allein«, betont Thomsen. Darüber hinaus ist der Kreis für die Beratung und Begleitung eine Kooperation mit dem freien Träger KIBIS in Husum eingegangen. Eine andere Möglichkeit, den Jugendlichen zu helfen, besteht darin, Gastfamilie zu werden. »Wir würden uns sehr freuen, wenn sich Familien bei uns melden würden, die einen jungen Flüchtling bei sich aufnehmen wollen«, wirbt Daniel Thomsen. »Wir bieten Pflegeeltern einen 160-stündigen Fortbildungskurs an, der pädagogische und rechtliche Themen behandelt. Derzeit brauchen wir insbesondere Unterbringungsmöglichkeiten für männliche Ausländer ab 15 Jahren.« Einen Fall gibt es bereits: Das Jugendamt hatte einen 16-jährigen Syrer in einem Heim zusammen mit deutschen Jugendlichen untergebracht, darunter einige Schulverweigerer. »Nach zwei Tagen stand er bei uns auf der Matte und bat um ein anderes Quartier: Er wolle gern zur Schule gehen, um Arzt zu werden, und fühle sich in dem Heim nicht richtig aufgehoben. Wir haben kurzfristig eine Pflegefamilie für ihn gefunden«, schildert Daniel Thomsen. Er warnt aber auch: »Viele Jugendliche sind zwar ganz normal aufgewachsen und zur Schule gegangen, bis in ihrer Heimat der Krieg ausbrach. Da viele im Krieg und auf der Flucht aber schlechte Erfahrungen gemacht haben, dauert es unter Umständen einige Zeit, bis sie sich in ihrem neuen Heim wirklich in Sicherheit und geborgen fühlen.« Landrat Dieter Harrsen hat viele UMAs persönlich kennengelernt und hofft auf ein hohes Interesse der Bevölkerung: »Die jungen Leute sind sehr dankbar, wenn man sich um sie kümmert. Sie wollen und müssen sehr viel lernen. Wer aus einer patriarchalischen Gesellschaft kommt, die von einem Diktator geführt wird, ist in einer offenen Gesellschaft wie unserer mit ihren 1.000 Möglichkeiten und teils schlechten Einflüssen völlig orientierungslos. Es lohnt sich, die Herausforderung anzunehmen, unseren jungen Neubürgern Deutschland beizubringen.« (Pressemitteilung des Kreises Nordfriesland)