Windenergiegewinnung in SH, Windenergieanlagen in Eiderstedt, ostatlantischer Vogelzugweg, Weltnaturerbe

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Günther,

sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Sütterlin-Waack,

sehr geehrter Herr Minister Goldschmidt,

 

die Gewinnung von Windenergie in Schleswig-Holstein hat seit Langem eine sehr positive Entwicklung genommen. Die Eignung von Flächen für Windenergieanlagen (WEA) wurde schon frühzeitig mittels einer landesweiten Regionalplanung festgelegt. Dadurch wird Windenergie dort ausgeschlossen, wo sie am wenigsten verträglich ist und dort zugelassen, wo der im Vergleich geringste Schaden entsteht.

Die Umweltorganisationen haben diesen Ansatz unterstützt und so zu der Entwicklung beigetragen, genauso wie die besonders in Schleswig-Holstein verbreitete örtliche Beteiligung an „Bürger-Windparks“. Auch dies hat zu einer vergleichsweise großen gesellschaftlichen Akzeptanz der Windenergie beigetragen.

Wir begrüßen diesen schleswig-holsteinischen Weg; er sollte fortgesetzt werden. Er führt aus unserer Sicht dazu, dass der für eine vollständige Klimaneutralität bei der Stromerzeugung notwendige Ausbau der Erneuerbaren in Schleswig-Holstein gelingen wird, und dabei zusätzlich wesentliche Beiträge auch für andere Bundesländer geleistet werden können.

Wir sehen es jedoch als großes Problem, dass durch jüngste bundesgesetzliche Vorgaben die Planung von WEA auch auf der Ebene einzelner Gemeinden selbst dort möglich wurde, wo, wie in Schleswig-Holstein, eine landesweite Regionalplanung Windenergie besteht (bzw. hoffentlich bald wiederhergestellt werden wird). Für das Erreichen der klimapolitischen Ziele ist dann eine WEA-Planung auf Ebene der Gemeinden nicht nur völlig unnötig. Sie führt auch zu schweren und unnötigen Konflikten vor Ort, und es besteht die Gefahr, dass WEA an vergleichsweise ungeeigneten Standorten errichtet werden.

Vor diesem Hintergrund schreiben wir an Sie. Wir beziehen uns dabei auf die Halbinsel Eiderstedt, wo seit längerem in zahlreichen Kommunen und mit Investoren über weitere WEA diskutiert wird, ermuntert u.a. durch die Gemeindeöffnungsklausel (§ 245e Abs. 5 BauGB). Einige Gemeinden haben daraufhin bereits „Vorratsbeschlüsse“ für neue WEA gefasst oder bereiten diese vor. In der Vergangenheit wurde Eiderstedt regionalplanerisch von WEA weitgehend freigehalten. Die dafür maßgeblichen Gründe des Schutzes von Biodiversität und Landschaft teilen wir. Ihr Gewicht hat sich in den letzten Jahren sogar weiter verstärkt:

  • Der global bedeutsame ostatlantische Vogelzugweg kreuzt Schleswig-Holstein. Er wird dabei von der Elbe bis nach Dänemark jedoch durch eine dichte Kette von WEA behindert. Eiderstedt stellt den letzten noch weitgehend offenen Korridor dar.
  • Eiderstedt mit seiner offenen Landschaft und seinem hohen Grünlandanteil ist Rast-, Nahrungs- und Brutgebiet für zahlreiche Wasser- und Wiesenvogelarten. Die Halbinsel ist seeseitig umgeben vom EU-Vogelschutz- und Ramsar-Gebiet Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer und angrenzenden Küstengebieten (in den Nationalpark eingeschlossen). Im nordwestlichen Teil Eiderstedts befindet sich das 6.704 ha große EU-Vogelschutzgebiet Eiderstedt. Neue Windkraftanlagen auf Eiderstedt würden also nicht nur in einem per se vogelreichen Gebiet entstehen, sondern auch zwangsläufig in räumlicher Nähe zu oder gar zwischen Vogelschutzgebieten. Es bestünde die Gefahr, dass deren Schutzzweck durch eine Häufung von großen vertikalen Anlagen in der Umgebung ernsthaft beeinträchtigt wird.
  • Die Anerkennung des Wattenmeeres als Weltnaturerbe durch die UNESCO begründet sich aus dessen „Outstanding Universal Value“ (OUV). Ein entscheidender Bestandteil davon ist die extrem große Bedeutung des Gebietes für Zug, Rast, Mauser oder Überwinterung von mehr als 10 Millionen Wat- und Wasservögeln, herausragend insbesondere für die in der Arktis und Subarktis brütenden Arten wie Nonnengans, Ringelgans, Goldregenpfeifer, Kiebitzregenpfeifer, Pfuhlschnepfe, Knutt und Alpenstrandläufer.
  • Eiderstedt weist eine einzigartige Kulturlandschaft auf – geprägt durch Weite, Horizont und ungetrübten Blick auf Kirchtürme, Haubarge und Marschköge. Seit dem EEG 2023 und mit dem dort formulierten überragenden öffentlichen Interesse für die Windenergie sind Landschaftsbild und Denkmalschutz in der Schutzgüterabwägung zwar nachrangig, in der Abwägung aber auch nicht bedeutungslos und sollten angemessen berücksichtigt werden.
  • Eiderstedt lebt vom Tourismus. Die Halbinsel ist eine naturnahe Oase der Ruhe und Erholung für Einheimische und Touristen. Das Alleinstellungsmerkmal ist: Gegenwelt zu urbanen und industrialisierten Landschaften. Auch wenn WEA nicht dazu führen müssen, dass der Tourismus einbricht, so ist doch auch dieser Aspekt in der Abwägung zu bedenken, denn die Qualität von Natur und Landschaft kann durch große WEA erheblich verändert werden.

Die Klimakrise kann und darf nicht auf Kosten der Biodiversität gelöst werden. Dies ist in Schleswig-Holstein aber auch überhaupt nicht notwendig. Schleswig-Holstein besitzt landesweit eine überdurchschnittliche Windhöffigkeit. Selbst solche Flächen, die im landesweiten Vergleich eher unterdurchschnittlich windhöffig sind, liegen oftmals über dem bundesweiten Durchschnitt und erlauben einen wirtschaftlichen WEA-Betrieb. Daher wurde in Schleswig-Holstein auch früher als in anderen Bundesländern die Windkraftnutzung ausgebaut und heute ist der Anteil des Windstroms bereits deutlich höher als in irgendeinem anderen Bundesland. Wir sind davon überzeugt, dass in Schleswig-Holstein die notwendige Menge an erneuerbarer Energie erzeugt werden kann, ohne dabei Hotspots der Natur und der Vogelwelt wie Eiderstedt für die Windenergie in Anspruch nehmen zu müssen.

Ein Ziel der anstehenden Novellierung des Landesplanungsgesetzes, bei der Neufassung des Landesentwicklungsplans (LEP) Wind sowie beim Update der Regionalplanung ist es, die in ihrer Wirkung sehr weit über Gemeindegrenzen hinausreichende WEA-Entwicklung landesplanerisch zu ordnen. Das unterstützen wir! Sorgen macht uns jedoch, dass der gerade entstehende Entwurf für den LEP Wind zwar noch nicht bekannt ist, in öffentlichen Sitzungen aber darauf hingewiesen wurde, dass darin signifikante Flächen in Eiderstedt für die Bebauung mit WEA freigegeben werden würden. Sollte sich dies bewahrheiten, wäre dies ein schwerer Schaden für den globalen Vogelzug, für das Weltnaturerbe Wattenmeer und für die Entwicklung von Eiderstedt.

Hinzu kommt die jüngst erfolgte Ablehnung der Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig (Az.: 5 KN 53/21) vom März 2023. Der entsprechende Regionalplan ist damit aufgrund von Investorenklagen bedauerlicherweise aufgehoben. Eine wirksame Regionalplanung sollte schnellstmöglich wiederhergestellt werden, doch bis auf weiteres sind WEA im gesamten Planungsraum privilegiert. Damit steigen unsere Befürchtungen vor einem regionalplanerisch ungesteuerten Bau von WEA in Eiderstedt weiter.

Wir fordern Sie daher auf, den Bau von weiteren WEA auf der Halbinsel Eiderstedt nicht zu ermöglichen und der besonderen Natur und Landschaft dort den notwendigen Schutz zu gewähren – sei es auf der Ebene möglicher Genehmigungsverfahren oder sei es auf der Ebene des Landesplanungsgesetzes, des LEP Wind oder der Regionalplanung.

 

Mit freundlichen Grüßen

BUND (Dietmar Ulbrich)

LNV (Prof. Dr. Ulrich Irmler)

NABU  (Alexander Schwarzlose)

OAG SH (Bernd Hälterlein)

Schutzstation Wattenmeer (Johann Waller)

Verein Jordsand (Dr. Veit Hennig)

WWF-Wattenmeerbüro (Dr. Hans-Ulrich Rösner)

Landesnaturschutzbeauftragter (Prof. Dr. Holger Gerth)