Tönning. Wenn Helga Walter (76) und Silke Harring (82) sich treffen, um eine Tasse Kaffee zu trinken und ein wenig zu plaudern, kommt unweigerlich irgendwann ein bestimmtes Thema auf den Tisch: die „Tönner Speeldeel“. Die Laienspielgruppe wurde bereits 1947 gegründet. Es gab im Laufe der Jahre zwar Pausen, aber immer fand das Ensemble wieder zusammen. Neue Mitspieler bereicherten die Speeldeel und gaben neue Impulse. Helga Walter trat 1974 dem Ensemble bei.

Wie es dazu kam, erinnert sie genau: „Ilse Greifsmühlen, eine der Gründerinnen der Speeldeel sprach mich an. Sie würden neue und vor allem junge Mitspieler suchen. Ob ich nicht Lust hätte. Und das hatte ich. Von da an war ich dabei und hatte immer viel Freude daran.“ Viele Jahre stand sie auf der Bühne und begeisterte mit ihren Mitspielern das Publikum, bevor sie 2010 die Regie und die Leitung der Tönner Speeldeel übernahm. „Früher spielten wir nur Einakter und bescherten damit Senioren einen Theaternachmittag“, erzählt die Tönningerin, „später dann wagten wir uns an richtig große Dreiakter, für die viel Text zu lernen war.“ Als Leiterin suchte sie die Stücke aus, besprach alles mit den Mitspielern und dann ging es ans Proben. Wenn auf der Bühne geprobt wurde, saß Helga Walter im Publikumsraum und gab ihre Anweisungen.

„So ein objektiver Blick aus der Richtung, wie das Publikum das Theaterstück ja sehen soll, ist wichtig“, erzählt sie, „da mit darstellerische, sprachliche und visuelle Elemente sich zusammenfügen und ein rundes Ganzes ergeben.“ Meistens wurden die Regieanweisungen mit den Spielern abgesprochen und dann auch umgesetzt. „Aber manchmal musste ich auch energisch sein“, lächelt Helga Walter und erzählt: „Unstimmigkeiten gab es immer mal, entscheidend war aber, dass wir alle das jeweilige Stück gut auf die Bühne bringen und das Publikum begeistern wollten.“

1995 stieß Silke Harring zu der munteren Truppe. Es wurde eine „Topusterin“ gesucht. Sie übernahm diesen Posten, fand sich schnell zurecht und war ab dann unverzichtbar für die Laienspielgruppe. Die ersten Jahre saß sie in einem speziellen Kasten vor der Bühne, später wurde ihr Platz ganz vorn unter die Bühne verlegt. Dort konnte sie verdeckt vor dem Publikum die Akteure gut sehen und hören und das Stück mit dem Rollenbuch in der Hand genau verfolgen. Hatte jemand einen „Hänger“, flüsterte sie, wie es weiterging.

Meistens half nur ein Stich-wort“, erinnert sie sich, „aber manchmal hatte einer der Spieler auch ganze Seiten überschlagen und war ganz woanders, dann musste ich erst einmal ordentlich blättern und den Spieler oder die Spielerin an den Ursprungstext zur richtigen Stelle zurückführen. Das war dann oft sehr knifflig“, lächelt sie. Einen ganzen Theaterabend lang musste Silke Harring in der „Kiste“ ihren Dienst einmal unter besonders schwierigen Bedingungen tun, denn es stank penetrant nach saurer Milch. „Eine Tüte Milch, die in dem Stück vorkam und die wir schon einige Wochen bei den Proben benutzt hatten, platzte ausgerechnet kurz vor Aufführung des Stückes und die saure Milch lief in meinen Topusterkasten unter der Bühne.

Obwohl wir die Milch noch notdürftig aufwischen konnten, der Gestank blieb“, schüttelt Silke Harring sich noch heute lachend. „Aber das musste ich aushalten“, erinnert sie sich. Aushalten musste sie es auch, dass sie an einem Theaterabend während einer Pause in ihrem „Kasten“, den sie ohne Hilfe nicht verlassen konnte, vergessen wurde. „Alle anderen machten Pause, konnten sich die Beine vertreten und auch die Waschräume aufsuchen, ich musste durchhalten, an mich hatte niemand gedacht“, lächelt sie. „Böse Absicht war das natürlich nicht, wir haben danach noch alle herzlich darüber gelacht.“ Auch Helga Walter hat viele Erinnerungen an die unzähligen Stücke der vergangenen Jahre. In die Zeit, in der sie die Regie führte, fiel auch ein Stück, bei dem sie, damals schon in gesetzterem Alter, auf jung getrimmt, ein junges Mädchen spielen musste, gleichzeitig aber auch die Regie führte.

„Wir fanden einfach niemanden für diese Rolle. Das war eine große Herausforderung für mich, hat aber ja alles gut geklappt“, sagt sie. Private Zusammenkünfte bereicherten stets den Zusammenhalt der Speeldeel. Ausflüge wurden gemacht, Radtouren und gemeinsame Essen. „Wir haben in den vielen Jahren wunderschöne und erfolgreiche Stücke gespielt“, erinnern sich beide Frauen.

Gern denken sie auch an das Stück „Poorn ut Tönn“, welches die Mitgründerin Ilse Greifsmühlen schrieb. Höhepunkte waren auch „Wi kriegt Besöök“ welches mit einem Abstand von zehn Jahren gleich zweimal aufgeführt wurde und „Tratsch im Treppenhaus“. Zuletzt wurde 2019 ein Stück aufgeführt, und zwar „Keen Utkamen mit dat Inkamen“. „Das war auch unser letztes gemeinsames Stück, ich für die Regie zuständig und du als Topusterin“, wendet sich Helga Walter direkt an Silke Harring. Die beiden Frauen lächeln, aber etwas Wehmut schwingt schon mit. Aus Altersgründen haben sie sich entschlossen, die Tönner Speeldeel zu verlassen. „Nun müssen mal Jüngere ran“, stellt Silke Harring fest und Helga Walter fasst zusammen: „All die Jahre haben wir viel Spaß miteinander gehabt, soviel Freude am plattdeutschen Theaterspielen, soviel Applaus erhalten. Für unseren Abschied ist nun der richtige Zeitpunkt, aber dennoch fällt es schwer.“ Mit den beiden engagierten Tönningerinnen gehen zwei Frauen, die die plattdeutsche Sprache im Theaterspiel gefördert, die den Menschen unheimlich viel Freude bereitet und die unzählige Stunden ihres Lebensfür die „Tönner Speeldeel“ investiert haben.

Ute Gieseler